Am 31.01.2023 haben fünf Autoren den untenstehenden Brief an die „Süddeutsche Zeitung“ als Email-Anhang gesendet. Am 2.02. antwortete die Redaktion, dass die Zeitung aus Gründen der IT-Sicherheit Leserbriefe als Anhänge nicht akzeptiert. Am gleichen Tag wurde der Brief wiederholt abgeschickt, diesmal direkt in die Mail integriert:
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 27.01.2023 hat Ihre Zeitung (S.4) den Leitartikel „Drei Jahre Corona – Glück statt Plan“ von Ihrer als Journalistin des Jahres 2021 ausgezeichneten Wissenschaftsredakteurin Christina Berndt veröffentlicht. Frau Berndt vertritt die Meinung, es gäbe derzeit „eine gefährliche Umdeutung“ der Pandemie-Jahre, das sei „zutiefst menschlich, dass Probleme der Vergangenheit kleiner erscheinen, als sie waren.“ Das ist ihre Meinung. So weit, so gut. Doch gleichzeitig macht die Autorin eine faktische Aussage, die in all ihren drei Komponenten der Wahrheit nicht entspricht. Sie schreibt, „dass während der schweren Infektionswellen die Zahl der verfügbaren Intensivbetten auf ein Minimum schrumpfte, Patienten mit Hubschraubern ausgeflogen werden mussten und jeder hunderte Infizierte starb.“
Zu den einzelnen Punkten:
„Während der schweren Infektionswellen [schrumpfte] die Zahl der verfügbaren Intensivbetten.“ Aus dem DIVI-Intensivregister sowie der Ad-hoc-Stellungnahme „Die Pandemie durch SARS-CoV-2/CoViD-19 – Zur intensivmedizinischen Versorgung in der SARS-2/CoViD-19-Epidemie“ (http://www.schrappe.com/ms2/index_htm_files/thesenpapier_adhoc3_210516_endfass.pdf) ist zu entnehmen, dass die Belegung der Intensivbetten in Deutschland während der Pandemiezeit nahezu konstant blieb und mit Auf und Ab der Covidwellen nicht zusammenhing. Im Durchschnitt waren während dieses Zeitraums nur ca. 4% der Intensivbetten von Patienten mit Covid belegt (darunter auch solche, die nicht wegen Covid intensiv behandelt wurden). Nur einmal „schrumpfte“ diese Zahl tatsächlich, als im Herbst 2020 die Intensivbetten drastisch abgebaut wurden: Ein einzigartiges Ereignis in der Geschichte der Epidemien, dass die Zahl der zur Verfügung stehenden Betten nicht erhöht, sondern reduziert wird. Im Übrigen hat Schweden fast fünfmal weniger Intensivbetten pro 100 000 Einwohner als Deutschland, aber auch dort gab es keinen dramatischen Engpass zwischen 2020 und 2022.
„Patienten [mussten] mit Hubschraubern ausgeflogen werden“. Jeder, der in einer großen deutschen Klinik arbeitet oder in der Nähe von einer solchen wohnt, weiß, dass einige Patienten immer wieder mit Hubschraubern ein- oder ausgeflogen werden müssen. Dies war vor, während und nach der Covid-Zeit der Fall. Die Daten, dass die Häufigkeit solcher Fälle während der Epidemie wesentlich anstieg (so wie sie z.B. in Süddeutschland in jeder Ski-Saison regulär ansteigt), sind uns nicht bekannt.
„Jeder hunderte Infizierte starb.“ Für die Patientenkohorte ab 70 Jahren ist diese Angabe annähernd korrekt, aber nur für diese. Nach den offiziell veröffentlichten Daten war die Infektionssterblichkeit für Menschen zwischen 60 und 69 Jahren 0,51% (einer von 200 gestorben), für die zwischen 50 und 59 0,12% (ein Todesfall pro 830 Infizierter), für die zwischen 40 und 49 0,035% (ein Todesfall pro 2850 Infizierter), für die zwischen 30 und 39 0,01% (ein Todesfall pro 10 000 Infizierter), für Menschen zwischen 20 und 29 0,002% (ein Todesfall pro 50 000 Infizierter), und schließlich für Kinder und Jugendliche bis zu 20 Jahren 0,0003% (drei Todesfäll pro 1 Million Infizierter), siehe Https://doi.org/10.1016/j.envres.2022.114655. Darunter sind Patienten, die an oder mit Covid verstorben sind, ohne dass man diese zwei Gruppen unterscheidet. Sogar unter der wenig plausiblen Annahme, dass in Deutschland trotz des hervorragenden Gesundheitssystems mehr Infizierte starben als im Durchschnitt in der Welt, sollte aus diesen Daten ersichtlich sein, dass die Aussage über den Tod jedes Hundertsten von der Wirklichkeit meilenweit entfernt ist.
Wir bitten deshalb die SZ, die falschen Angaben zu korrigieren.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Boris Kotchoubey, Tübingen
Prof. Dr. Paul Cullen, Münster
Prof. Dr. Ulrike Guerot, Bonn
Roland Hofwiler, Psychotherapeut und Journalist, München
Prof. Dr. Andreas Schnepf, Tübingen
Die Zeitung hat auf diese Bitte nicht reagiert. Wir fordern die SZ auf, Fehlinformationen zu korrigieren, damit sie nicht weiter verbreitet werden. Weiterhin empfehlen wir der SZ, für zukünftige Artikel eine ausgewogene Recherche unter Berücksichtigung aller zugänglichen Informationen durchzuführen.